Freitag, 27. Juni 2014

Träume

Neulich hatte ich meinen ersten politischen Traum. Im Grunde genommen ist da nichts Merkwürdiges dran, denn wenn alles im Körper vor sich hin pennt und also keiner aufpasst, dann nutzt das Gehirn seine Chance und denkt sich einfach, was es will.

Im Halbschlaf fängt das schon an ... ein Gedanke führt zum anderen ... die ersten Bilder steigen auf und schwuppdiwupp ist man ganz woanders. Aber wie das mit dem Halbschlaf eben so ist: es geht auf und ab. So ein Wachbewusstsein ist nicht so schnell klein zu kriegen ... und schon denke ich: "Moment mal, was habe ich da eben gedacht?!" Aber es ist weg ... ein für alle Mal. Mein Gehirn benimmt sich da wie so ein verschlagener Schuljunge, der eine obszöne Zeichnung oder einen Liebesbrief (oder beides) hastig zusammenknüllt, in den Mund steckt und halb zerkaut herunter schluckt, sobald er den Lehrer neben sich stehen spürt ... und noch bevor dieser fragen kann: "Was hast Du da?!"

Was mir da alles schon verloren gegangen ist an diesen Nachmittagen, an denen ich mich für ein Stündchen hingelegt habe, um etwas Musik zu hören ... ! Morgens sieht das anders, aber nur wenig besser aus. Selbst das Gehirn ist dann noch ganz weggetreten und kommt nur schwer in die Gänge ... der Schuljunge kommt also mit dem Kauen und Schlucken gar nicht mehr nach ... zum einen, weil er noch gar nicht richtig wach ist, zum anderen, weil er im Laufe der endlosen Schulstunden der Nacht soviel an Träumen zusammengekritzelt hat, dass er es gar nicht alles auf einmal runterwürgen kann.

Und so kommt es, dass ich mich dann doch noch an den einen oder anderen Traum erinnern kann ... Ich habe meinem Problemschüler den Zettel gerade noch aus dem Mund fischen können und fange an zu lesen:

Ich laufe durch einen Tante-Emma-Markt ... denn das hier ist zwar ein Supermarkt, sieht aber aus, wie so ein kleiner Einzelshandelsladen in einer Seitenstraße ... Es ist höchstens halbdunkel, die Regale stehen eng und verwinkelt beieinander ... mit einem Einkaufswagen würde man hier keine zwei Meter weilt kommen ... auch wegen der Stufen und Absätze nicht ... Es ist schwer, hier den Überblick zu behalten ... Aber das ist das geringste Problem, das ich beim Einkaufen habe. Denn an der Kasse angekommen, muss ich nicht nur das bezahlen, was ich dem Warenangebot entnommen habe, bezahlen muss ich sogar alles das, was ich in den Laden mitgebracht habe ... also auch meine Kleidung, meine Brille ... eben alles. Das stimmt mich missmutig ... "Jedes Mal dasselbe!", denke ich, "und auf die Dauer geht dieses Einkaufen richtig ins Geld ..." Und obwohl ich weiß, dass es keinen Sinn hat, protestiere ich und blicke der Kassiererin mit grimmiger Entschlossenheit ins Gesicht. "Aber das hier bezahle ich nicht!" ... und ich halte ihr den Wäschekorb aus rosa Plastik unter die Nase, in dem ich meinen Einkauf transportieren will ... "den habe ich von zu Hause mitgebracht!" - Als ob das irgend etwas ändern würde ...

Dann wachte ich endlich auf und dachte: "Hoppla ... ein anti-kapitalistischer Traum: Wie viele Profite könnten noch maximiert werden, wenn wir für alle Waren, die wir besitzen, mehrmals bezahlen müßten?! Gut für das System - schlecht für uns alle ... Hoffentlich liest niemand meine Gedanken!"

Freitag, 6. Juni 2014

Arme / Frauen

Sympathisch an Sigmund Freud ist, dass er sich so oft geirrt hat. Es ist aber charakteristisch für große Denker, dass sie selbst im Irrtum noch die Zielscheibe treffen, auch wenn der Pfeil der Erkenntnis nicht ins Schwarze trifft ... (und man beachte die zweideutige Symbolik!). Um nun aus meiner Erfahrung zu sprechen: Es ist zwar richtig, dass sich Frauen nach zusätzlichen Körperteilen sehnen - aber es sind normalerweise nicht die Teile, die für Männer typisch sind.

Vor einiger Zeit habe ich einer guten Freundin beim Umzug geholfen. Da schleppte ich grade eine der zahllosen Kisten hoch in den dritten Stock des Apartmenthauses, als mir in einem dieser engen, verwinkelten Flure eine junge Frau den Weg versperrte ... ganz gegen ihre Absicht, sie konnte nicht anders, denn sie versuchte nicht nur, den Rucksack, der ihr an der einen Schulter hing, vor dem Herabrutschen zu bewahren, gleichzeitig versuchte sie auch noch, sich einen Karton unter die Arme zu klemmen und dabei zugleich zerrissene Papierfetzen in einen gelben (!!!) Sack zu stopfen, während sie in demselben Augenblick danach trachtete, ihren Wohnungsschlüssel nicht aus der Hand fallen zu lassen. Aus einer gebückten, quasi quasimodohaften Körperhaltung heraus blickte sie lächelnd zu mir hoch und entschuldigte sich für ihre Blockadehaltung: "Ich brauche unbedingt noch zwei zusätzliche Arme!" Wie recht sie doch hatte ... "Oder", ergänzte ich, "einen Freund ..."

Und schließlich schaffte sie es doch noch, alles zusammenzuraffen und den Weg frei zu machen. "Stimmt", sagte ich - diesmal zu mir selbst, "Frauen haben generell zu wenig Arme ... ein Armutszeugnis für den Schöpfer, denn intelligenten Designer oder die Evolution ... egal ... ein Armmutszeugnis auf jeden Fall." Dann kam mir die Erleuchtung: Das ist der Grund dafür, warum Frauen so versessen auf langfristige Zweierbeziehungen sind! Was sie brauchen, ist nicht der Mann, sondern seine beiden Arme! Die drei magischen Worte, die ich von einer Geliebten am häufigsten zu hören bekam, waren dem entsprechend nicht etwa: "Ich liebe Dich!", sondern immer nur: "Halt das mal!" Und dann wurde ich bepackt ... mit Tüten, Paketen, Rucksäcken ... Frauen sind wie Ameisen dazu in der Lage, das Mehrfache ihres eigenen Körpergewichts zu transportieren - vorausgesetzt, sie haben einen Mann dabei.

Ich fragte mich damals, ob wohl schon jemand vor mir auf diesen eminent wichtigen Gedanken gekommen war ... man handelt sich ja so leicht einen Plagiatsvorwurf ein ... und so bestellt ich in der Universitätsbibliothek ein ziemlich genau 100 Jahre altes Buch von einem gewissen Julius Möbius ... sein Titel sah einschlägig aus: Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes.

Aber welche Enttäuschung, als ich die vergilbten Seiten dieser Schwarte durchlas: Da war die Rede davon, dass Frauen nicht logisch denken können und ihr moralisches Bewusstsein unterentwickelt sei ... und bla bla bla ... schaurig chauvinistisches Zeugs eben ... das übliche ... und schlimmer noch: kein Wort, nicht ein einziges, über die wirkliche körperliche Unzulänglichkeit der Frau ... Möbius war übrigens Arzt, wie Freud auch, und weder dem einen noch dem anderen schien das geholfen zu haben, das wesentliche Problem zu erkennen ... Vielleicht muss man erst einmal zum Umzugshelfer werden, um die Frauen verstehen zu können.

Freitag, 2. Mai 2014

Ladendiebstahl

Im Eingangsbereich meines Supermarkts hängt ein richtig dickes Schild von der Decke. Unwillkürlich schaue ich jedes Mal hoch, obwohl ich es schon zigmal gesehen habe. Und hoch gucken muss man ja wohl, denn dieses Schild verkündet das Wort des Gesetzes: Ladendiebstahl lohnt sich nicht! Und darunter, kleiner gedruckt, der ganze Sermon zum Thema Bestrafung und die Aufforderung, einen Ladendieb, wenn man ihn bei seiner Tat beobachtet, sogleich zu denunzieren ... etwas diskreter formuliert natürlich, aber der Sinn ist klar.

Das ist auch eine Form der Begrüßung ... gleich beim Eintritt wird einem unter die Nase gerieben, was man hier von den Kunden hält, deren Geld man sich verdienen möchte: im Ganzen ein diebisches Gesindel, das Seinesgleiches für eine schnelle Mark, eine handvoll Dollar oder den entsprechenden Wert in Silberlingen ans Messer liefert.

Wie auch immer ... ich kann dem Schild auch noch etwas anderes abgewinnen. Wenn jemand so viele Lieder, Schlager und Songs im Kopf hat wie ich ... viele davon gegen meinen Willen und meine Überzeugung ... dann schwappt das Gehirn manchmal über und eine Melodie klatscht auf die Worte, die man irgendwo liest und überflutet sie mit einem anderen Text.

Es gibt da diesen alten Schlager, in dem es heißt: "Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling!" Der kommt mir immer in den Sinn, wenn ich diesen Laden betrete ... und so laufe ich dann doch beschwingt durch die Reihen von Regalen, pfeife vor mich hin und summe einen neuen Text auf diese alte Melodie vor mich hin: "Ladendiebstahl lohnt sich nicht, my darling, schade um die Jahre dann im Knast ..." Und vielleicht liegt es ja daran, dass ich hier noch nie was geklaut habe.

Donnerstag, 17. April 2014

Zebrastreifen

Sie glauben wohl, wenn man als Mensch geboren wurde, dann hat man es geschafft, dann ist man eben ein Mensch, die Spitze der Nahrungskette, die Krone der Schöpfung ... Von wegen ... Gehen Sie mal über eine Straße, dann werden Sie schon sehen ... Ein Mensch sind sie nur, wenn und solange die anderen Ihnen das abnehmen. Aber das tun sie eben nicht immer. Auf zwei Beinen aufrecht durch die Gegend zu latschen reicht da nicht. Schauen Sie sich mal die Tauben an, die haben das auch drauf. Denken Sie dran, sagen Sie das leise vor sich hin, wenn Sie mal über einen Zebrastreifen wollen.

Aber was heißt hier "Zebrastreifen"? Diese Fußgängerwechsel sind ja kaum als solche zu erkennen. Wahrscheinlich, um die sensiblen Gemüter der Kraftfahrer nicht traumatisieren. Die weißen Streifen, welche die Fahrbahn kreuzen, beleidigen ihren Glauben, ihre dogmatische Verehrung der Fortbewegung. Wenn ich mal eine Straße überqueren muss, dann bin ich für dieses Gesindel doch gar kein Mensch. In ihren Augen bin ich nur ein Hindernis. Sie sehen, wie schnell die Kultur den Bach runter geht ... Die ganze Zivilisation ist nur soviel wert, wie eine platt gefahrene, zerquetschte Taube am Straßenrand.

Schon gut, es ist mir ja klar, dass ich nur ein Teilzeitmensch bin ... ein lästiges Ding, das nicht mehr oder weniger Daseinsberechtigung hat als einer dieser rotweiß gestreiften Kunststoffhütchen, die von amtlich bestellten Spielverderbern auf die Straßen gestellt werden. Da muss man abbremsen ... Welche Zumutung ... Geradezu Blasphemie. Und ich? Was mache ich? Zu allem Überfluss bewege ich mich auch noch! Schlimme Sache. Kann man aber auch positiv sehen. Es fordert heraus, man hat Gelegenheit, die eigene Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen.

So, meine Damen und Herren, sieht doch die Wirklichkeit aus: Der Mensch ist ein denkendes Hindernis. Aber immerhin: kein bewegliches Ziel ... Zumindest nicht hier bei uns ... Noch nicht. Aber das kommt auch bald. Das denke ich immer wieder, wenn ich meine Einkäufe und mich selbst über den Zebrastreifen schleppe. Die voll gepackten Taschen und der Rucksack beugen mich noch weiter nach unten, als es das Leben ohnehin schon tut. Jetzt nur nicht nach rechts oder links schauen. Im Tierreich, wie auch hier, gilt das als Provokation. Der heranpreschende Fahrer denkt dann: 'Der da guckt schon, der will stehenbleiben, dieser Verlierer …' Aber ich bewege mich, langsam zwar, aber ich bewege mich – und sogar vorwärts. Und ich verfolge euch, ihr Radler und Autofahrer, nicht nur mit Blicken, auch mit Gedanken. Im Mittelalter wurde es von einem Menschen noch als schlechte Nachricht aufgenommen, wenn es hieß, dass man ihn Rädern würde. Heute ist ein Mensch ohne Räder gar kein richtiger Mensch, sondern nur eine bedauerlich primitive Lebensform, die vor ihren eigenen blinden Trieben geschützt werden muss – vor allem dem Trieb, sich einfach so von da nach dort zu bewegen.

Aber trotz meiner gebeugten Haltung bin ich keine Kröte und niemand hat Lust, mich über die Straße zu tragen. Dabei wüßte ich das wirklich zu schätzen. Wehren würde ich mich nicht.

Halten wir fest, meine Damen und Herren, ich bin also weder Mensch noch Kröte und zu suchen habe ich hier, mitten auf der Straße, auch nichts. Mit den Tauben, ja, da ist das schon was anderes ... Die wohnen hier. Das hier ist ihre natürliche Umgebung. Man sieht das schon an der Art, wie sie sich bewegen ... ungezwungen ... geradezu lässig. In ihrer eleganten Verachtung des Straßenverkehrs sind sie das, was auch ich gerne wäre, aber nicht bin, weil ich zuviel denke: Sie sind um einiges menschlicher als ich. Und wenn sie Hände hätten, dann würden sie den Radlern und Autofahrern hin und wieder den Stinkefinger zeigen.

Donnerstag, 3. April 2014

Platsch!

Es war einer dieser Tage ... alles war sinnlos. Komischerweise sitzt die Depression bei mir zunächst in den Händen. Die Finger sind zwar in Ordnung, rein körperlich betrachtet, aber der Lebenswillen ist ihnen abhanden gekommen, sie sind müde und bekommen ihr Leben (also auch mein Leben) nicht mehr in den Griff. Alles fällt runter ... Feuerzeuge, Stifte, Zahnbürsten ... manchmal muss ich ein zweites Mal hingreifen, um eine Packung mit Papiertaschentüchern unter einem Wust von Zeitungen und CD-Hüllen herauszufischen.

Ganz düster sieht es aus, wenn es um die Handhabung von Gläsern, Tassen und Bechern geht, die O-Saft, Kaffee oder Tee enthalten. Die kann man leicht ganz oder teilweise verschütten. Anstatt ruhig vor sich hin zu starren, muss man dann fluchend auf allen Vieren kriechen, um die Flüssigkeit möglichst rückstandslos aufzuwischen ... wenn möglich ... wenn es nicht die Zettelwirtschaft trifft. Meine besten Texte gingen verloren und die besten Notizen blieben unausgearbeitet, weil Kaffee oder Säfte sie unleserlich machten ... behaupte ich jetzt jedenfalls.

Unweigerlich dehnt sich die Depression von den Händen ausgehend über den Restkörper aus ... und das Gehirn kriegt das, wie so oft, als letztes mit ... dieses überschätzte Organ. "Hoppla", denkt es sich dann, "ist wohl wieder D-Day" (Es meint damit: Depression Day ... mein Hirn neigt selbst im Krisenzustand zu Anglizismen und billigen Witzen). "Da müssen wir wohl was dagegen unternehmen ..." - Aber weiter kommt es nicht ... Die Augen sind nicht davon abzubringen, einen Fleck in der Auslegware zu fixieren ... "Jetzt aber!", ruft das Gehirn - und alle Körperteile, nicht nur die Hände, zeigen ihm den Stinkefinger ... und damit hat es sich.

Wie tröstlich ist es, dass es auch andere Leute trifft. Wenn das Hirn es endlich geschafft hat, den Körper ín den Supermarkt zu manövrieren (nachdem es eine Stunde lang Guter Bulle/Böser Bulle mit dem Restkörper gespielt hat ... es hat ja auch zwei Hälften und kann also abwechselnd Drohungen ausstoßen und gut zureden), dann, ja dann, wenn es leidlich unfallfrei die Kasse erreicht hat, sitzt da ein Leidensgenosse.

So neulich geschehen. Ein Kassierer-Azubi kassiert schwerfällig vor sich hin und dann gleitet ihm so eine aalglatte Ein-Liter-Plastikflasche mit einem Putz- oder Spülmittel durch die Finger. Alles fällt mal runter ... aber manchmal nicht einfach so ... Da die Dinge wissen, dass sie in ihrem Leben nicht viele Chancen zum Runterfallen haben werden, ziehen einige von ihnen ein ganz große Show ab. So wie diese Flasche, die dem halbherzigen Griff dieses Jungverkäufers entflutschte. Ein kurzer, steiler Bogenflug und dann der jähe Sturz in die Tiefe ... Platsch! ... Der Plastikbehälter wäre wohl gern eine Weinflasche gewesen - zumindest verhielt er sich so: Er zerbrach so, wie es sonst nur Glasflaschen tun und sein kinderspielzeugblauer Inhalt ergoss sich über die Bodenfliesen.

Da hatten meine Augen was zu tun! Das ist schon was anderes, als so ein dröger Fleck auf dem heimischen Teppichboden! Eine ganz andere Liga! In den Fugen zwischen den Fliesen flutete die Substanz voran. Ich stand genau daneben und konnte von allen hier an der Kasse am besten sehen - bis mir klar wurde, dass meine Idealposition zugleich die moralische Verantwortung bedeutete, diesem Schauspiel eine Ende zu bereiten. Eigentlich wäre das die Sache meiner Reflexe gewesen, die Flasche aufzuheben, um noch Schlimmeres zu verhüten ... aber die hatten sich heute krank gemeldet. Also musste ich das selber machen ... was mir schwer fiel ... aber ich tat es dann doch.

Der Jungkassierer rief per Sprechanlage: "Jemand zum Aufwischen an Kasse 1!" Der Flaschenkunde war inzwischen losgespurtet, um eine Ersatzflasche zu holen. Ich hatte also Zeit, mich wieder in den Anblick der Flüssigkeit zu versenken, die sich noch immer über den Boden ausbreitete. Aber es war nicht mehr dasselbe. Abgeschnitten von seiner Quelle, hatte der Putzmitteltümpel viel von seiner Dynamik und Schönheit verloren.

Als ich schon dabei war, meine Einkäufe einzupacken, kam endliche der Aufwischer. Ich hatte jemanden mit Eimer, Schrubber und Putzlappen erwartet - tatsächlich aber rückte ein weiterer junger Mitarbeiter mit einem wahren Ungetüm von Maschine an. Sie dröhnte mehrmals an mir vorbei, sodass ich mich an die Wand drücken musste. Nur nicht in ihr Getriebe geraten, dachte ich, ich wäre verloren. Für den Supermarkt wäre das kein Verlust gewesen, denn ich hatte ja schon bezahlt. Aber eine Frage musste sich mein Selbsterhaltungstrieb dann doch gefallen lassen: Was wäre denn verloren gewesen? - Ja, es war einer dieser Tage, an denen sich diese Frage besonders hartnäckig stellt.

Donnerstag, 27. März 2014

Käfer

Ernst Jünger war ja ein begeisterter Sammler von Käfern ... er war ganz vernarrt in diese Viecher ... keiner war vor ihm sicher, er packte und konservierte sie und einige sind dann auch nach ihm benannt worden - ohne dass man sie groß um Erlaubnis gefragt hätte.

Wer den Dichter in seinem Domizil besuchte, der musste sich erstmal an allen diesen Schaukästen im Flur vorbeiquetschen ... und so mancher Besucher wird sich gedacht haben: 'Gut, dass die Viecher schon alle tot sind!' ... Obwohl das ja passen würde: so ein flotter Marsch über herumwuselnde Krabbler und ihre knirschenden Panzer, um dann mit dem Autor, der an zwei Weltkriegen aktiv mitgewirkt hat, ein Täßchen Tee zu schlürfen ...

Ich kann da nicht mithalten ... ich habe es bislang nur zu einem einzigen Käfer gebracht ... und den habe ich nicht mal selber gefangen ... er ist mir wortwörtlich ins Haus geflattert ... irgendwann im letzten Sommer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihn eines Abends hinter mir herumbrummen hörte ... und dann verlor sich seine Spur - bis ich dann Wochen später einmal den Schirm meiner Nachttischlampe herumdrehte: da fiel er herunter ... tot, aber noch ansehnlich ... ein Opfer der guten alten Glühbirne, die ich noch immer verwende.

Und da habe ich ihn liegen lassen, zwischen Stiften, Tempotaschentüchern, Feuerzeugen und dem ganzen anderen Kram. Viel ist nicht mit ihm los ... ein ganz normaler Marienkäfer eben ... nichts, womit man angeben oder in der Fachwelt für Aufsehen sorgen könnte. Nekrophile und/oder tiefsinnige Menschen mögen sich einen menschlichen Totenschädel auf den Nachttisch legen - mir genügt dieser Käfer ... dafür ist er noch gut genug.

Montag, 17. März 2014

Die Ableser kommen!

Alle Jahre wieder ist es soweit: Die Heizungsableser durchkämmen mein Apartmenthaus. Und diesmal geben sie sich nicht damit zufrieden, sich nur die Zähler anzusehen. Der Ehrgeiz hat sie gepackt. Sie installieren völlig neuartige Hightech-Sensoren an den Heizkörpern ... mit allem Zipp und Zapp ... einschließlich digitaler Anzeige. Schlagartig wird mir klar, was der seltsame Lärm der letzten Tage zu bedeuten hatte, der Lärm, der aus den anderen Wohnungen zu mir durch drang. Hier muss etwas weggehobelt und da muss etwas drangedübelt werden. Und jetzt kommen sie zu mir!

Technisch sind die Ableser also im 21. Jahrhundert angekommen. Das gilt jedoch nicht für ihr Auftreten. Da befinden wir uns noch immer in dem durch Imperialismus und Krieg geprägten 20. Jahrhundert. Zunächst einmal müssen Eimer, Taschen, Geräte, Instrumente, Werkzeuge, Klemmbretter und Zettel irgendwo abgelegt werden. Ich habe auf Anordnung der Hausverwaltung zwar alles freigeräumt, trotzdem reicht der Platz nicht aus ... nur dann, wenn ich mich ganz klein mache, nicht atme und am besten auch nicht spreche. Die Ableser sind ein Volk ohne Raum – und das ist keine Ideologie, keine Propaganda, es ist die harte Wahrheit.

Ich wage es nicht, mich hinzusetzen oder auf uns ab zu gehen. So fühlt man sich also, wenn man in einem Land lebt, dass von einer fremden und feindlichen Armee besetzt wird! Wut steigt in mir auf, auch Trauer und vor allem das Gefühl einer bleischweren Hilflosigkeit. Es ist kein Zufall, dass der Existentialismus in einem besiegten und besetzten Land entstanden ist. Ich bin in einer Grenzsituation und zu allem Überfluss auch noch zur Freiheit verurteilt: Soll ich mich in mein Schicksal fügen oder Widerstand leisten? Die Franzosen konnten es doch auch, als sich die Wehrmacht in ihren Cafés rund um den Eifelturm breit gemacht hatte.

Die Parallelen sind frappierend. Der Ableser spricht deutsch – zwar ein deutlich thüringisch geprägtes Idiom, aber eindeutig deutsch – und: Er wirft begehrliche Seitenblicke auf die von mir nur halb ausgetrunkene Tasse Kaffee.

Wo geht man hin und wo soll man stehen, wenn die eigene Wohnung einem nicht mehr gehört? Soll ich mich überhaupt wehren, hat das einen Sinn? Soll ich die Tätigkeit der Ableser durch Sprengstoffanschläge sabotieren, wenn das dann doch nur dazu führt, dass sich das alles nur noch länger hinzieht und ich dann auch noch tiefe Krater in der Auslegware habe? Einen Grund, sich zu wehren, gäbe es ja. Diese neuartigen digitalen Zähler können auch von außerhalb der Wohnung abgelesen werden. Folglich kann man sie auch von draußen manipulieren. Mir fällt auf, dass sie eines dieser kleinen Augen haben, die man von der Fernbedienung kennt! Mehr als verdächtig! Wie die Manipulation möglich sein soll? Keine Ahnung, aber technisch ist ja alles möglich, wenn es darum geht, Geld zu verdienen. Andererseits müßte ich dann keine Invasoren mehr in meinem Apartment dulden. – Es ist alles so absurd.

Apropos "absurd": Wussten Sie, dass Samuel Beckett bei der Résistance mitgemacht hat? Ja, genau der Mann, der sein Leben lang von der Sinnlosigkeit alles menschlichen Handelns überzeugt war, selbst dieser Mann war damals mit dabei und hat sogar nach dem Krieg eine Auszeichnung vom französischen Staat erhalten. Das macht mir ein wenig Mut. Ich hole tief Luft und beginne zu warten und zu philosophieren. Eine solche Invasion fremder Mächte in den eigenen vier Wänden ist höchstens dann zu ertragen, wenn man etwas repariert haben will, wenn der Durchlauferhitzer nicht mehr erhitzt oder der Einbaukühlschrank nicht mehr kühlt. Das hat Sinn und Zweck. Da kann man sich sagen: Augen zu und durch. Aber das Ablesen von Heizkörpern macht alles nur noch schlimmer: Kurzfristig werden unweigerlich Nachforderungen gestellt und langfristig erhöhen sich die Nebenkosten.

Die Sekunden schleppen sich unmotiviert durch den Raum, wie die deutsche Nationalmannschaft bei einem Freundschaftsspiel gegen Nepal. Nur noch am Rande nehme ich wahr, dass die Ableser mir einen Abschiedsgruß zurufen ... denn ich denke gerade an Becketts Worte: "Einsamkeit ist das Paradies." Wortlos sacke ich in mir zusammen, die Hände noch immer verkrampft in den Hosentaschen, unfähig, mich zu bewegen, aufzuatmen oder meine Wohnung wieder in Besitz zu nehmen.

Donnerstag, 23. Januar 2014

Eisberge

Die Welt ist ungerecht ... - ... Ich weiß natürlich, dass Sie das wissen, aber man kann nicht oft genug darauf hinweisen. Das Selbstverständliche entzieht sich mit solcher Leichtigkeit unserem Blick, dass es kaum mehr wahrzunehmen ist – vor allem dann, wenn es sich dabei um Unannehmlichkeiten handelt. Man denke an den Stoßseufzer von Wittgenstein: "Wie schwer fällt es mir zu sehen, was vor meinen Augen liegt!"

Worauf ich hinaus will ist Folgendes: Haben Sie sich jemals gefragt, was wohl aus dem Eisberg geworden ist, der den Untergang der Titanic verursacht hat? Soweit ich weiß, ist er niemals für seine Untat zur Rechenschaft gezogen worden. Ich halte das für einen Skandal und eine schreiende Ungerechtigkeit. Vor allem, wenn man bedenkt, dass im Mittelalter – einer Epoche, die in vielen Hinsichten konsequenter war als unsere eigene – selbst den Holzwürmern der Prozess gemacht wurde, wenn sie durch ihren sündhaften Lebenswandel das Dach einer Kirche zum Einsturz brachten. Aber in unserer angeblich so aufgeklärten und fortschrittlichen Zeit nimmt man es einfach so hin, wenn ein stures Stück Natur es sich in den Kopf setzt, Tausende von Menschen umzubringen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich hier eine äußerst kontroverse Ansicht vertrete. Denn die Eisberge, vor denen sich unsere Vorfahren zu Recht fürchteten, sind inzwischen zu everybody’s darling geworden. Das mediale Gerede von der sich anbahnenden Klimakatastrophe wird ja oft genug von dramatischen Filmaufnahmen begleitet, die zeigen, wie da wieder einmal ein großes Stück Eis von einem noch größeren Stück Eis abbricht. Aber kaum droht den Eisbergen selbst einmal ein unerbittliches Schicksal und kaum befinden sie sich selbst einmal in der Opferrolle, da erregen sie auch schon unser Mitgefühl und wir sehen einfach so über ihre kriminelle Vergangenheit hinweg.

Aber sie zeigen noch immer ihr wahres Gesicht – und man muss sich nicht auf eine Schiffsreise begeben, um es zu sehen. Vor einiger Zeit habe ich meinen Kühlschrank abgetaut – nach Jahren zum ersten Mal wieder – und Sie können sich vorstellen, wie es darin aussah: Der härteste und unnachgiebigste Eispanzer diesseits von Arktis und Antarktis hatte sich darin breit gemacht. Hier war nichts vom Klimawandel zu spüren. Im Gegenteil. Während überall auf der Welt das große Tauwetter angebrochen ist, herrschen hier noch immer Zustände wie in der Eiszeit. Mein Kühlschrank ist so gesehen eine Art Nordkorea, die letzte Bastion einer finsteren Zeit, die in allen anderen Gefilden unseres Planeten schon längst vorbei ist.

Aber in meinem Kühlschrank herrscht sie noch immer. Und nicht nur das. Genau wie die nordkoreanische Bevölkerung leide auch ich unter einer Nahrungsmittelknappheit. Die eisige Geschwulst hat sich nicht nur unangreifbar und unbelehrbar im Tiefkühlfach festgesetzt, nein, sie breitet sich auch immer mehr aus. Inzwischen finde ich kaum noch einen Platz, um meine Lebensmittel dort unterzubringen. So kann es nicht weitergehen: Das Eis muss weg.

Aber das dauert, bis das alles geschmolzen ist ... Also setzte ich mich vor den Fernseher, um die Zeit bis zur ersehnten Schmelze zu überbrücken. Und was sah ich da? Es war ausgerechnet der Film Eine unbequeme Wahrheit von Al Gore ... dieses Machwerk, in dem diese hinterhältigen Eiskrusten vollkommen einseitig und undifferenziert als Opfer dargestellt werden. Man kennt die Mentalität, aus der Gores Film entstanden ist: Früher war nicht alles schlecht! – und "früher" kann auch heißen: "damals ... in der Eiszeit".

Wahrscheinlich war ich an diesem Abend der einzige Zuschauer, der mit geballten Fäusten vor dem Bildschirm saß und sich dabei dachte: Recht geschieht ihnen! ... und dabei lauschte ich immer wieder in die Küche hinüber ... lauschte auf das Krachen, mit dem der Eispanzer endlich zerbricht.

Vielleicht verstehen Sie meinen Hass auf überdimensionale Eisbrocken besser, wenn Sie sich bei der nächsten Wiederholung von Titanic die ganze Zeit über vorstellen, dass genau dieser gefrorene Bastard, der an allem schuld ist, nur ein paar unbedeutende Kratzer abbekommen hat und dann unbehelligt davon trieb, als wäre nichts gewesen, um dann schließlich und endlich in den wärmeren Gefilden dahinzuschmelzen. Sie werden mir zustimmen: Ein solches schmerzloses Ende hat er nicht verdient.

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